• Die Katharer und der Heilige Gral


    Walter-Jörg Langbein

     

    Man muss nicht wie der Verfasser Theologie studiert haben, um die negativen Seiten der "christlichen Theologie" zu sehen. Auf der einen Seite steht das Christentum als Lehre, deren Befolgung das irdische Da sein zu einem paradiesischen im Hier und Jetzt machen würde. Würden wir nach den Lehren des Jesus von Nazareth leben, dann wären alle Menschen glücklich und zufrieden. Religion wird aber von Menschen ausgeübt. Religion wird von Menschen auch missbraucht, etwa zu ganz weltlichen Zwecken. Dies geschah auch mit dem christlichen Glauben.

    Wer die Geschichte der vergangenen zwei Jahrtausende studiert, der wird feststellen, dass Religion nicht selten ein Aushängeschild war...hinter dem nackte Machtgier stand. Dadurch wird der christliche Gedanke nicht schlechter. Es ist geradezu erschütternd, dass im Verlauf der vergangenen zwei Jahrtausende gerade solche Menschen, die wieder zu den eigentlich christlichen Gedanken und Lehren zurückkehren wollten....den christlichen Machtpolitikern als unliebsame, ja gefährliche Gegner erschienen, die an der eigenen Position rüttelten. Menschen, die im Herzen wirklich darum bemüht waren, Christen zu sein....wurden von Menschen, die das nur vorgaben...als Ketzer verfolgt.

    Vielleicht war es diese extreme Anfeindung, die lebensbedrohende Verfolgung (an deren Ende unweigerlich der Scheiterhaufen stand), die dazu führte, dass richtige christliche Ansätze zu teilweise abstrusem Sektierertum verkamen. Schwert und Scheiterhaufen als Antworten auf vermeintlichen oder echten Abfall vom christlichen Glauben aber...sind mit christlicher Lehre unvereinbar.

    Das Mittelalter wird gewöhnlich als ein finsteres Zeitalter bezeichnet. Es war eher eine Ära der Suche. Zu den Geheimgruppen, die nach neuen Erkenntnissen strebten, waren die Katharer in Frankreich. Sie entwickelten sich im frühen zwölften Jahrhundert aus der Sekte der Bogumilen. Einer ihrer wichtigsten Bekenntnisse lautete: "Anfangs gab es zwei Prinzipien, das Gute und das Böse. In ihnen war für alle Zeiten das Licht beziehungsweise die Finsternis begriffen Aus dem Prinzip des Guten kommt Licht und Geist. Aus dem Prinzip des Bösen Materie und Finsternis."

    Sie gingen von zwei Wirklichkeiten aus, die sich gemeinsam zur allumfassenden Realität verdichteten. Alles Sichtbare war zugleich auch vergänglich. Es wurde dem Teufel zugeschrieben. Dazu gehörte der menschliche Leib mit seinen irdischen Genüssen. Unsichtbar und göttlich, also rein und positiv, war die Seele. Der "Idealmensch" war himmlisch und körperlos.

    Einer der Hauptgründe, warum sich die Katharer um Geheimhaltung bemühten, war ihre Lehre von den zwei Chrituswesen. Da war der eine, der im heiligen Land lebte und gekreuzigt wurde. Dieser irdische Christus wurde keineswegs nur positiv gesehen. Nach Katharer-Überzeugung war er sündig geworden, weil er mit Maria Magdalena in wilder Ehe lebte und mehrere Kinder zeugte. Weil er so Schuld auf sich geladen hatte, sei er auch zu Recht gekreuzigt worden.

    Der andere Christus wurde ebenfalls gekreuzigt. Er durfte aber nicht mit seinem irdischen Pendant verwechselt werden: Er war eine Art Geistwesen ohne fleischliche Bedürfnisse, benötigte weder Speise noch Trank. Er kam in einer unsichtbaren Form zur Welt, wo er ebenfalls gekreuzigt wurde.

    Gleichzeitig gab es eine weitere Lehrmeinung, die von der ersten abwich. Demnach hatte Gott zwei Söhnen: Christus und Satan. Beide wurden gekreuzigt: Christus auf Erden, Satan im Himmel. Der irdische Christus wurde als gefallene Seele bezeichnet. Er gleiche jedem Sünder irdischer Herkunft, wurde gelehrt.

    Alle Menschen waren "gefallene Seelen", hatten aber die Möglichkeit, geheimen Riten folgend und durch wiederholtes Leben, Sterben und Wiedergeburt den Status eines "Vollendeten" zu erreichen. Jene Menschen, es sollen im zwölften Jahrhundert deren fünfzehn gewesen sein, waren dazu auserkoren, die Katharer als Führungspersönlichkeiten zu leiten. Sie wurden als Parfaits bezeichnet. Sie waren erlöste Seelen und durften nach dem Tode unmittelbar ins Paradies eintreten. Die anderen Menschen aber, die von ihnen zu einem reinen Leben angeleitet werden sollten, mussten je nach Fortschritt in der geistigen Entwicklung, den Kreislauf der Wiedergeburt häufiger oder weniger oft durchlaufen.

    Das irdische Los der "Vollendeten" war, aus der Sicht "niederer menschlicher Gesinnung" alles andere als leicht. Sie waren rein, durften sich, um den Eingang ins Paradies nach dem Tode nicht zu gefährden, nicht beschmutzen. Sie mussten sich darauf beschränken, so wenig wie nur möglich zu essen. Nahrungsaufnahme durfte nicht dem Genuss dienen, sondern den Leib am Leben erhalten. Ihre Kost war arm, entsprechend verhärmt sahen sie aus. Sexualität war ihnen verboten. Sie lebten mönchisch, kasteiten den Leib mit einem Gewand aus rauem Stoff.

    Hygiene wurde groß geschrieben. Alles Irdische war dazu angetan, zu verunreinigen, zu beschmutzen. Fett galt als unrein, durfte bei der Herstellung von Speisen nicht verwendet werden. Das Essbesteck musste, merkwürdigen Ritualen folgend, neunmal abgewaschen werden.

    Das Leben der Reinen hätte wohl auch vom Klerus akzeptiert werden müssen, war es doch keusch und ohne Prunk und Protzerei. Freilich hatten sich die kirchlichen Oberen häufig zu fast weltlichen Fürsten entwickelt, die die angenehmen Seiten des Lebens schätzten und oft verschwenderisch lebten. Jener Prunk aber war in den Augen der Katharer verwerflich und schädlich. Sie erachteten den Luxus als "Fäulnis der Seele".

    Es gab freilich keine einheitliche kirchliche Front gegen die Katharer. Sie fanden selbst in den Reihen hochangesehener Bischöfe verschiedener Städte Unterstützung. Das ging sogar so weit, dass sich hohe geistliche Würdenträger von 1231 an immer wieder für den Geheimbund einsetzten und aktiv eine Verfolgung sabotierten.

    So war die Ablehnung der Kirche von Seiten der Katharer nur logische Konsequenz. Sie akzeptierten den Papst nicht als höchste Autorität. Jeder der Parfaits galt als eine Art Papst, der nach Ansicht der Anhängerschaft im Gegensatz zum römischen Papst nach den Gesetzen des Neuen Testaments lebte. Zu den Gesetzen, die von den Reinen auch in Lebensgefahr befolgt wurde, gehörte das Verbot zu töten. Wenn ein Parfait von einem Feind angegriffen und tödlich bedroht wurde, so durfte er sich nicht wehren, musste sich ermorden lassen.

    Das Verbot des Tötens wurde auch auf Tiere ausgedehnt. Sie durften nicht geschlachtet werden. Glaubte man doch, dass in ihren Leibern die Seelen Verstorbener leben konnten, die im Rahmen der Wiedergeburt ein eher niedriges Dasein fristeten. Für den Reinen war jede Form des Tötens Mord. Wer ein Leben auslöschte war verdammt: der Metzger ebenso wie der Totschläger, der Inquisitor ebenso wie der Henkersknecht.

    Entsetzt lehnten die Katharer jegliche Form von feierlicher Bestattung ab. Sie verachteten den menschlichen Leib zutiefst, der für sie nur eine wertlose, ja schmutzige Hülle der Seele war. Da war es doch absurd, Bestattungszeremonien abzuhalten, vielleicht gar mit Pomp und salbungsvollen Reden. Der Leib würde vergehen, zerfallen, niemals auferstehen. Die Seele des Normalsterblichen würde wiedergeboren werden. Anders war das beim Reinen.

    Die Parfaits waren überzeugt davon, sie würden nach dem Jenseits ins Paradies wandern. Das setzte aber voraus, dass sie ihr irdisches Leben in Reinheit verbrachten. Beschmutzten sie sich in irgendeiner Weise, durch den Verzehr von Fleisch, durch Geschlechtsverkehr oder Mord, dann waren sie verdammt - zur Wiedergeburt. Sie würden im nächsten Leben in Form primitivsten Tierlebens erneut zur Erde kommen und hatten keine Chance, sich erneut zu höherem Leben zu entwickeln. Sie waren dann auf ewige Zeiten verdammt. Diese mehr als schlimmen Aussichten mögen es gewesen sein, die die Porfaits daran hinderten, "rückfällig" zu werden.
    Da hatten es "Normalsterbliche" schon leichter. Sie unterlagen nicht den strengen Vorschriften. Sie durften Fleisch essen, sich ein Intimleben gönnen. Im Falle der Bedrohung von Leib und Leben war es ihnen sogar gestattet, menschliches Leben zu vernichten. Gewiss, sie gingen nach dem Tode nicht unmittelbar ins Paradies ein. Sie hatten aber dieses erlösende Ziel stets vor Augen. Es war jedem dieser Unreinen sogar theoretisch möglich, durch reines Leben selbst zu einem Parfait zu werden.
    Die Aufnahme in jenes kleine Grüppchen erfolgte nach einem strengen Ritual. Der Noch-Unreine musste zunächst versprechen, auf jede Form fleischlicher Freuden zu verzichten. Er musste schwören, inskünftig nur die Wahrheit zu sagen. Er musste sich dazu verpflichten, bis an sein Lebensende der Gemeinschaft der Katharer anzugehören. Ein Austritt, so wie er heute aus den Kirchen möglich ist, war undenkbar. Dabei war klar, dass Katharer von der Inquisition verfolgt und wegen ihrer Zugehörigkeit zum Geheimbund oft schlimmen Folterqualen unterworfen wurden, die so schmerzhaft waren, dass die Gepeinigten die Toten beneideten. Ein Parfait wollte lieber sterben, als dass er sein Katharertum verleugnete.

    Die Angst vor der Verfolgung war groß. Mancher Parfait befürchtete, sein einmal abgelegtes Gelübde nicht einhalten zu können. Er zog es dann vor seinem Leben ein Ende zu bereiten. Diese bewusst herbeigeführte Selbsttötung wurde als "Endura" bezeichnet. Man zog sich in eine abgeschiedene Region, etwa die Berge, zurück und nahm keinerlei Nahrung mehr zu sich, verhungerte also.
    Der rituelle "Endura"-Tod wurde wiederholt auch in der Gefangenschaft zelebriert. Diese qualvolle Art des Selbstmords wurde für die Porfaits erträglicher dadurch, dass sie sich vorstellten, bald schon von achtzehn englischen Wesen durch sieben Himmel geführt zu werden. Sie ließen die Erde tief unter sich, jenen Ort, auf dem die dummen Menschen lebten. Als dumm wurden sie angesehen, weil sie ja wussten, was sie eigentlich tun müssten, um ins himmlische Paradies zu gelangen, aber aus Gier und Genusssucht das Dasein von Unreinen vorzogen.

    Eine wirklich klare Vorstellung von einer "Hölle" gab es nicht. Vermutlich glaubte man, dass die Erde selbst jener Hort des Schreckens sein werde, auf dem einst die bösen Seelen hausen müssen würden. Mit Höllenvisionen setzte sich der Parfait kaum oder gar nicht auseinander. Für ihn war die Vorstellung, dass Unreine immer wieder und wieder geboren würden und dabei zu immer schlimmeren, monströseren Lebensformen degenerierten, weitaus abschreckender als noch so grausame Höllenbilder.

    Das Geheimnis der Katharer

    In der Region des Languedoc im Süden Frankreichs nahe bei den Pyrenäen gelegen, trotzt eine alte Burgruine auch heute noch dem oft stürmisch-schlechtem Wetter. Sie thront auf einem wahrhaft imposanten Felsblock, wirkt eher wie ein zu Stein gewordenes Adlernest als ein von Menschenhand errichtetes Bauwerk. Der Zahn der Zeit hat im Verlauf der Jahrhunderte an dem mysteriösen Bau genagt und doch versteht man auch heute noch, warum er Montségur genannt wurde.
    Der Begriff leitet sich von "Mont Sur" ab: sicherer Berg. Und sicher fühlten sich in ihrer Festung die Katharer. Hier meinten sie seien sie unerreichbar für die Inquisition. Hier hielten sie die wichtigen Rituale ihres Geheimordens ab, die niemals Uneingeweihten anvertraut wurden. Sie sind uns daher unbekannt geblieben. Die Katharer haben das Geheimnis lachend und singend mit auf die Scheiterhaufen genommen.

    Wir wissen, dass es in Montségur ein "Sonnenzimmer" gab. Wie mögen die Zeremonien ausgesehen haben, die in jenem Raum feierlich begangen wurden? Wir wissen es nicht. Gewiss, man könnte Spekulationen anstellen. Man könnte mutmaßen, dass die Bezeichnung auf irgendwelche alchimistischen Vorgänge anspielt. Die Katharer betrieben aber keine Alchimie, zumindest gibt es dafür nicht auch nur den Hauch eines Hinweises. Tatsächlich passte diese Geheimwissenschaft auch gar nicht zu ihrem Glauben. Alles Materielle wurde von ihnen verachtet: Blei genauso wie Gold. Warum sollten sie sich dann darum bemühen, aus unedlen Metallen edlere herzustellen? Gold war in ihren Augen auch gar nicht erstrebenswert. Sein Besitz beschmutzte nur die Seele.

    Alchimistisch waren die Katharer allenfalls im übertragenen Sinne: Durch Abstinenz von allem Unreinen verwandelten sie sich, indem sie ihre Seele reinigten. Man mag es als den großen Triumph der Katharer ansehen, dass sie trotz schlimmster Folterqualen das Geheimnis des Sonnenzimmers bewahrten. Es erscheint dem Verfasser als geradezu blasphemisch, durch Spekulationen dieses Rätsel ans Tageslicht zerren zu wollen.

    Belagerung und Tod

    Im Jahre 1244 umzingelte eine ganze Armee den Berg von Montségur. Die päpstlichen Offiziere trieben ihre Landsknechte zu schnellem Vorgehen an. Sie befürchteten nämlich, dass der deutsche Kaiser, Friedrich II., den Belagerten zu Hilfe kommen würde. Die Strategen des Angriffs waren davon überzeugt, nur durch einen schnellen militärischen Sieg ans Ziel kommen zu können. Mit einem Heer aus deutschen Landen wollten sie es nicht aufnehmen.

    Mit militärstrategischen Zielen hätte es aber doch lange, zu lange, gedauert, um die Trutzburg einzunehmen. Es fand sich ein Verräter, der den "rechten Weg" wies. Am 1. März 1244 standen die Belagerer unmittelbar auf dem Gipfel. Vor ihnen türmte sich die Burg in den pechschwarzen Himmel. Meuchelmörder töteten die Wache. Man nahm die Festung aber nicht ein. Den Verteidigern wurde eine Frist von zwei Wochen eingeräumt. Freiwillig sollten sie ihren "sicheren Ort" aufgeben, dem Katharer-Glauben abschwören. Andernfalls werde man sie öffentlich bei lebendigem Leibe verbrennen.

    In der Nacht vom 15. März 1244, also nur wenige Stunden vor Ablauf der Frist, gelang es vier Porfaits, sich von den hohen Zinnen der Burg abzuseilen. Sie hatten sich zur Tarnung in dunkle Wolltücher gehüllt. Irgendwie konnten sie sich durch den Ring von Belagerungstruppen schleichen. Retteten sie"nur" ihr Leben? Einer alten Überlieferung zufolge brachten sie den wertvollsten Besitz, den Schatz des Geheimordens aus der Burg in Sicherheit? Worum handelte es sich dabei? Und was es auch war: Wohin brachten sie es?

    Niemand vermag das zu sagen.

    Anfang der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts versuchte Otto Rahn das Geheimnis von Montségur zu lüften. Er recherchierte intensiv - in alten Historienbüchern, aber auch vor Ort. Ein Hirte erzählte ihm eine Geschichte, die damals in der einheimischen Bevölkerung in den Dörfern um den Katharerberg erzählt wurde. Kann man ihr glauben? Darin hieß es: "Als Montségurs Mauern noch standen, hüteten in ihnen die Reinen den Heiligen Gral. Die Burg war in Gefahr. Luzifers Heerscharen lagen vor ihren Mauern Den Gral wollten sie haben."

    Sollte sich also der Gral in der Festung befunden haben? Wurde er gerettet? Oder handelte es sich bei dem Schatz vielmehr um Dokumente, etwa über die Riten und Regeln des Katharerordens, die auf keinen Fall in die falschen Hände fallen durften, die man aber auch nicht zu vernichten wagte?

    Wie auch immer: Kaum waren die vier "Reinen" entkommen, ergaben sich die übrigen Glaubensbrüder in ihr Schicksal. Fast scheint es so, als ob sie dann ihr Ende auf den Scheiterhaufen am Fuß des Berges gar nicht mehr erwarten konnten. Lachend und singend seien sie in die Flammen gesprungen. 205 Menschen kamen um. Nahm ihnen die Glaubensüberzeugung, bald schon ins himmlische Paradies eingehen zu können, jede Angst vor dem Tod?





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